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35 Jahre Mauerfall – Rotkreuzler erinnern sich an ihre Einsätze

Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer und damit auch das SED-Regime. Eine glückliche Zäsur für Berlin und seine Menschen. In dieser bewegten Nacht und den darauffolgenden Tagen leisteten die Helfer und Einsatzkräfte des Berliner Roten Kreuzes unermüdlich Unterstützung und versorgten die tausenden DDR-Bürger, die über die offenen Grenzübergänge in den Westteil Berlins strömten. Ihre Berichte zeugen von außergewöhnlichem Engagement und tiefer Menschlichkeit in jenem historischen Moment.

Die Nacht der Öffnung – Hartmut Engel an der Bornholmer Brücke 
Hartmut Engel, seinerzeit Bereitschaftsleiter im damaligen DRK-Kreisverband Wedding, erinnert sich lebhaft an jene Abendstunden: „1989, in diesem magischen Jahr, war ich im Kreisverband Wedding Leiter der Bereitschaft“, erzählt Engel. „Am 9. November hatten wir unseren Bereitschaftsabend, deshalb hatten wir die Erklärung von Schabowski zur unverzüglichen Öffnung der Grenze nicht mitbekommen.“ Erst als er im Autoradio hörte, dass die Grenze geöffnet wurde, begriff er die Dringlichkeit der Lage und machte sich mit zwei DRK-Teams auf den Weg zur Bornholmer Brücke. „Wir stellten uns dort erkennbar als Rotes Kreuz an der Brücke auf und wurden von den Menschen umströmt“, berichtet Engel.
Die Szenen an der Grenze waren geprägt von Emotionen und Unglauben. „Ist das wirklich wahr? Sind wir hier im Westen?“, fragten viele die Helfer. Besondere Eindrücke hinterließen auch ein kleiner Junge und seine Großmutter, die nun endlich nach Marienfelde konnten, um ihre Familie zu treffen, die zuvor über Ungarn geflüchtet war. „Das war für mich das schönste Erlebnis – Gänsehaut pur“, beschreibt Engel. Auch an den Tagen darauf versorgte die Bereitschaft in eisiger Kälte die Menschen an den Grenzübergängen mit heißen Getränken. „In 18 Stunden verteilten wir 36.000 Liter Tee“, erzählt Engel, der heute Teil unserer Zentralbereitschaft CBRN-Dienst ist.

Dimension des Augenblicks – Norbert Kroschel im Einsatzleitdienst 
Auch Norbert Kroschel, der am Abend des 9. November als Einsatzleiter Dienst hatte, schildert die Entwicklungen der Nacht eindrücklich: „Ich hatte an jenem Tag Einsatzleitdienst und wurde von unserem Landesbereitschaftsführer Wilfried Vollmer kontaktiert, der meine Einschätzung der Lage hören wollte.“ Kroschel dachte zunächst, die Umsetzung der Reisefreiheit würde geregelt und schrittweise erfolgen. Doch gegen 23 Uhr erkannte er, dass der Andrang an den Grenzübergängen eine schnelle Reaktion erforderte.
Sofort aktivierte er die Einsatzkräfte weiterer DRK-Kreisverbände und entsandte sie an die Kontrollstellen und das Brandenburger Tor, wo sie die Menschen in der Kälte ebenfalls mit heißem Tee versorgten. Kroschel selbst begab sich zur Kontrollstelle Invalidenstraße/Sandkrugbrücke, wo er das unvergessliche Bild eines Grenztruppenangehörigen, eines britischen Militärpolizisten und eines Berliner Polizisten erlebte, die gemeinsam versuchten, den Verkehr zu regeln. „Das gab für mich, der ich selbst beruflich mit Grenzschutzaufgaben betraut war, ein nahezu unfassbares Bild“, sagt Kroschel.

Kommunikation als Lebensader – Marianne Pohl koordiniert in der Zentralbereitschaft Fernmeldedienste
Auch Marianne Pohl, Bereitschaftsführerin der Zentralbereitschaft Fernmeldedienste, erinnert sich eindrücklich an die historischen Tage. In der Nacht des Mauerfalls am 9. November 1989 wurden sie und ihre Einheit alarmiert, um die Kommunikation zwischen dem Gesamteinsatzleiter, den Kreisverbänden und den Einsatzkräften an den verschiedenen Grenzübergängen und in der Berliner City sicherzustellen. Fast rund um die Uhr hielten die Fernmeldedienste die Kommunikation aufrecht, koordinierten Einsatzkräfte und Einsatzleitung und waren in der Lage, kurzfristig auf jede neue Situation zu reagieren.

Einsatz in Prag – die Eheleute Margrit und Volker Sandvoß leisten Flüchtlingshilfe an der deutschen Botschaft 
Schon Tage vor dem 9. November war das DRK für DDR-Bürger im Einsatz, die über die Deutsche Botschaft in Prag ausreisen wollten. Volker Sandvoß, damals Einsatzleiter der Bereitschaft Steglitz, war mit einem Team von Helfern vom 3. bis 11. November an der Deutschen Botschaft tätig. Die Helfer des DRK hatten in jenen Tagen auf dem Bahnhof Holešovice die ankommenden Flüchtlinge in Empfang genommen, sie zur Botschaft begleitet und anschließend den Transport weiter in die Bundesrepublik mit koordiniert. „Wir haben viele Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen geführt. Es war ein oft sehr bewegender Austausch“, erzählt Sandvoß. Besonders einprägsam war der Moment, als ein Familienvater überlegte, ob er wirklich in der BRD bleiben oder zurück in die DDR gehen sollte, um seiner Familie die besten Chancen zu ermöglichen.
 

Der Botschaftseinsatz in Prag und die nächtliche Versorgung der Menschen in Berlin am 9. November sind exemplarisch für das unermüdliche Engagement des Berliner DRK und seiner Helfer in einer Zeit, in der Hilfe oft spontan und pragmatisch geleistet werden musste. Diese Erlebnisse sind nicht nur Zeugnisse der bewegenden Ereignisse von 1989, sondern stehen stellvertretend für das Engagement und die Menschlichkeit, die das DRK bis heute prägen. 35 Jahre nach dem Mauerfall erinnern die Erlebnisse von Hartmut Engel, Norbert Kroschel, Marianne Pohl und Margrit & Volker Sandvoß daran, wie das Berliner DRK in der historischen Nacht und den folgenden Tagen eine zentrale Rolle spielte. Sie brachten Wärme, Unterstützung und Mitgefühl an die Grenzübergänge, an denen sich das Schicksal einer ganzen Nation entschied.

Fotos: Privatarchiv Margrit & Volker Sandvoß